Von der Grundrente nach 35 Erwerbsjahren würden rund 3,7 Millionen Menschen profitieren. Zu dem Ergebnis kommt eine neue Studie im Auftrag des DGB. Die von Arbeitsminister Hubertus Heil vorgeschlagene Grundrente könnte die Armut um drei Prozent senken – als Instrument zur Armutsvermeidung sei sie aber nur bedingt geeignet, heißt es darin: Zwei Drittel der Rentenbeziehenden haben keine 35 Jahre Erwerbsleben auf dem Buckel.
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Wenn die Spitzen der schwarz-roten Koalition am Sonntag in Berlin zusammenkommen, wird es wahrscheinlich erneut um Grundrente gehen. Union und SPD sind sich nach wie vor nicht einig darüber wie das neue Instrument konkret aussehen soll. Kern des Streits ist die sogenannte Bedürftigkeitsprüfung. Während die Unionsparteien CDU und CSU wollen, dass bei jedem und jeder Einzelnen geprüft wird, ob sie auch wenig genug zum Leben haben, besteht die SPD auf ihrem ursprünglichen Konzept, dass alle, die mindestens 35 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, Anspruch auf eine Altersrente von 880 Euro pro Monat haben.
Es handelt bei er Grundrente, wie der Name sagt, um eine Rente, also einen durch lange Erwerbstätigkeit erworbenen Anspruch und nicht um eine staatliche Fürsorgeleistung, wie etwa Grundsicherung oder Hartz IV. Doch die Union befürchtet, dass ohne Bedürftigkeitsprüfung viele Menschen zu unrecht die Grundrente bekommen würden – etwa die vielgenannte Zahnarztgattin, die selber nie gearbeitet hat (wenn das denn stimmt) und einen Mann mit ausreichend hoher Altersrente an ihrer Seite hat.
Im Auftrag des DGB haben Tanja Schmidt und Verena Tobsch vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) in Berlin untersucht, wie viele Menschen Anspruch auf die Grundrente hätten und ob diese wirklich ein wirksames Instrument gegen die grassierenden Altersarmut ist.
Laut der Studie auf Basis der Daten des soziooekonomischen Panels (SOEP) 2017 wären rund 3,7 Millionen Menschen anspruchsberechtigt für die ursprünglich von Bundesarbeits- und sozialminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagenen Grundrente. Rund 3,7 Millionen Menschen, die trotz 35-jähriger oder noch längerer Erwerbstätigkeit eine gesetzliche Rente von unter 880 Euro im Monat haben. Rund 72 Prozent davon (2,7 Millionen) sind Frauen. Das liegt daran, dass Frauen überwiegend oft geringfügig beschäftigt, in Teilzeit oder zu niedrigeren Löhnen arbeiten als ihre Kollegen. „Dem Prinzip der Aufwertung der individuellen Lebensleistung bei langjähriger Erwerbsarbeit und nur geringen Rentenanwartschaften kann die Grundrente somit durchaus gerecht werden“, schreiben Schmidt und Tobsch in ihrem kürzlich veröffentlichten Papier.
Obwohl die Grundrente beim Punkt Geschlechtergerechtigkeit einen wichtigen Ausgleich zur Unwucht auf dem Arbeitsmarkt schaffen kann, trifft sie längst nicht alle, die potenziell von einer Niedrigrente betroffen sind. Rentnerinnen und Rentner, die weniger als 35 Jahre Erwerbserfahrung haben, machen rund zwei Drittel aller Rentenbeziehenden aus, heißt es in dem Papier weiter. Das Ziel der allgemeinen Armutsvermeidung erreicht die Grundrente also nur bedingt, auch wenn die Armutsquote durch die Einführung um drei Prozent sinken könnte.
Trotzdem würden nach den Schätzungen der Forscherinnen mehrheitlich Menschen profitieren, deren Haushaltsnettoeinkommen in den unteren Einkommensbereichen liegen. Das betreffe 55 Prozent der anspruchsberechtigten 3,7 Millionen Menschen Singlehaushalten und 65 Prozent in Paarhaushalten, die effektiv vor Altersarmut geschützt würden.
Dass auch rund 330.000 Personen mit der Grunderente ein „mehr als auskömmliches Haushaltsnettoeinkommen“ hätten, würde durch die Steuerprogression wieder teilweise ausgleichen. Heißt: Auf Renten müssen Steuern gezahlt werden. Wer mehr Rente bekommt, zahlt mehr Steuern. Damit würde der „durch die Grundrente erhaltene Differenzbetrag deutlich abschmelzen“.
Die Diskussion um die Grundrente, auf deren Einführung sich CDU, CSU und SPD grundsätzlich in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 geeinigt haben, wird seitdem Hubertus Heil seinen Vorschlag in diesem Jahr vorgelegt hat, verschärft geführt. Gegner wie wie der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen argumentieren, die Grundrente verstoße gegen den Leistungsgedanken in der gesetzlichen Rentenversicherung, dass nur der etwas rausbekommt, der auch eingezahlt hat. Überdies fordert er die Bedürftigkeitsprüfung – mit Verweis auf die Zahnarztgattin, die keinen Bedarf nach einer Grundrente hat, weil sie durch ihren Mann ausreichend abgesichert ist.
Befürworter halten dagegen, dass mit der Grundrente ein „Mindestsicherungselement“ in die Rentenversicherung eingeführt würde. „„Damit zollt der Vorschlag dem Solidarprinzip der Sozialversicherung Rechnung und knüpft an die Rente nach Mindestentgeltpunkten an“, sagt etwa die Juristin Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik bei der Gewerkschaft ver.di.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben in der vergangenen Woche noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass der Koalitionsstreit um die Grundrente endlich zu einem Ergebnis kommen müsse – ohne Bedürftigkeitsprüfung. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte laut Medienberichten, Union und SPD müssten jetzt eine Grundrente liefern, "die ihren Namen verdient hat“. Wer jahrzehntelang aus niedrigem Lohn seine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt habe, müsse eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen. „Die Politik muss der Lebensleistung der Erwerbstätigen, die jahrelang gearbeitet haben, gerecht werden.“
Da es bei der Rente um eine Versicherungsleistung gehe, sei eine Bedürftigkeitsprüfung nicht akzeptabel, "weil sie bei der normalen Altersrente natürlich auch nicht durchgeführt wird“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Überdies würden mit der Bedürftigkeitsprüfung nur noch 150.000 Anspruchsberechtigte übrig bleiben, das große Vorhaben Grundrente würde Makulatur.
Die Studie zum Download:
Studie vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) im Auftrag des DGB zur Grundrente.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."