Nach dem Armutsbericht 2018 des Paritätischen Gesamtverbands ist jeder vierte Arme in Deutschland eine Rentnerin oder ein Rentner, das betrifft insgesamt etwa 3,4 Millionen Ältere. Im Interview mit Matthias Becker erklärt Dr. Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband, wie sich die Altersarmut in Zukunft entwickeln wird.
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.
Joachim Rock ist Abteilungsleiter für Arbeit, Soziales und Europa beim Paritätischen Gesamtverband.
Her Rock, im Dezember hat Ihr Verband eine eigene Bestandsaufnahme der Armut in Deutschland veröffentlicht. Was haben Sie herausgefunden?
Joachim Rock: Wir haben mit unserem Armutsbericht einen Perspektivwechsel vorgenommen: Üblicherweise wurden die Armutsquoten in bestimmten Gruppen untersucht, also beispielsweise die Armut innerhalb der Gruppe „der Rentner“ oder „der Migranten“. Wenn man das macht, stellt man fest, dass im Jahr 2016 die Armut unter Rentnern und Pensionären bei 14,7 Prozent liegt. Das wäre ein unterdurchschnittliches Armutsrisiko. Wenn man aber die Zahl aller 13,7 Millionen armen Menschen in Deutschland (2016) betrachtet, zeigt sich, dass fast jeder vierte Arme ein Rentner war. Aber wenn man stattdessen die Betroffenen untersucht und fragt, welche sozialen Merkmale sie aufweisen, wirken die Ergebnisse ganz anders: Dann zeigt sich beispielsweise, dass jeder vierte Arme eine Rentnerin oder ein Rentner ist, insgesamt etwa 3,4 Millionen Ältere betrifft das,.
Wie wird sich die Altersarmut in der Zukunft entwickeln?
Weil zahlreiche Beschäftigte heute einen Niedriglohn erhalten wird, wird die Zahl der Armutsbetroffenen zunehmen. Zwei Drittel der sozialversicherten Beschäftigten bekommen weniger als den Durchschnittsverdienst und erwerben entsprechend geringe Rentenansprüche. Dazu kommen die steigenden Mieten. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen in die Grundsicherung rutschen werden.
Was halten Sie von dem Vorschlag des Arbeitsministers für eine Grundrente?
Wir vom Paritätischen Gesamtverband begrüßen ihn ausdrücklich. Die geplante Regelung erreicht Menschen, die längere Zeit gearbeitet haben. Voraussetzung sind 35 Jahre sogenannter Grundrentenzeiten, wozu voraussichtlich Zeiten sozialversicherter Beschäftigung, Pflege und der Kindererziehung zählen werden, letztere mit bis zu zehn Jahren pro Kind. Diese Voraussetzung erfüllen insgesamt etwa 3 Millionen Menschen, darunter etwa 130 000 Menschen, die ansonsten auf Grundsicherung angewiesen wären. Der Ehrlichkeit halber muss man aber auch sagen, dass diejenigen, die die geforderten 35 Jahre nicht erreichen – etwa 370 000 Menschen – dabei leer ausgehen werden. Für sie brauchen wir andere Unterstützungsmaßnahmen
Schafft die geplante Grenze von 35 Jahren nicht neue Ungerechtigkeiten – was ist mit einem Rentner oder einer Rentnerin, die nur auf beispielsweise 32 Jahre kommt?
Dieses Problem mit Stichtagsregelungen haben wir immer, ob wir sie nun höher oder niedriger ansetzen. Wichtiger als 2 Jahre mehr oder weniger ist aber, welche Zeiten berücksichtigt werden. So wäre es wichtig, dass auch Zeiten der Arbeitslosigkeit mitgezählt werden. Ob das so kommt, lässt sich noch nicht absehen. Viele Menschen in der Grundsicherung würden aber auch 30 Jahre nicht erreichen und kämen auch mit der Grundrente nicht aus der Grundsicherung. Ob das so kommt, lässt sich bisher noch nicht absehen.
Die Große Koalition ist sich nicht einig, ob die Grundrente an die Überprüfung der Bedürftigkeit gekoppelt werden soll. Die CDU ist dafür, auch der Vorschlag der GRÜNEN für eine „Garantie-Rente“ sieht eine Bedürftigkeitsprüfung vor.
Diese Diskussion geht an der Wirklichkeit vorbei. Nach neueren Untersuchungen nehmen ungefähr drei Viertel der Berechtigten ihren Anspruch auf Grundsicherung überhaupt nicht wahr. Ältere Menschen scheuen den Weg „zum Amt“. Die Koalitionsparteien hatten das Ziel formuliert, alten Menschen aus Respekt gegenüber ihrer Lebensleistung den Weg zum Sozialamt zu ersparen. Das Konzept von Hubertus Heil will genau das und erreicht auch diejenigen, die aus Scham oder Angst ihre Leistungen nicht in Anspruch nehmen.
Aber was ist mit dem Vorwurf, eine Grundrente ohne Bedürfigkeitsprüfung käme auch Wohlhabenden zugute, weil beispielsweise der Partner eine hohe Pension bezieht?
Die Grundrente ist an Bedingungen geknüpft, die sicherstellen, dass die Menschen in ihrem Leben mehr als nur ein bisschen nebenher gearbeitet haben. Ein 450 Euro-Job beispielsweise reicht nicht aus. Diese Diskussion über die Zahnarztgattinnen geht an der Lebenswirklichkeit vorbei.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."