Wer jahrzehntelang hart arbeitet hat, stirbt früher. Zu diesem Schluss kommt eine vom DGB in Auftrag gegebene Studie von Professor Martin Brussig und Susanne Eva Schulz vom IAQ. Für DGB-Vorstand Annelie Buntenbach ist damit klar: Eine Anhebung des Rentenalters käme für viele Menschen einer deutliche Rentenkürzung gleich, da sie nicht so viel rausbekommen wie sie eingezahlt haben.
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Es ist eine einfache Botschaft: Finger weg von einer Anhebung des Rentenalters. „Das Rentenalter muss sich an der Realität messen lassen“, sagte DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstagabend vor JournalistInnen im Haus des DGB-Vorstands in Berlin. „Höhere Altersgrenzen sind nicht allen zumutbar“, so Buntenbach weiter, „weil die Lebenserwartung ungleich steigt.“ Die Lebenserwartung insbesondere derer, „die auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, steige deutlich – „und zieht den Durchschnitt insgesamt nach oben“.
Das sind, zusammengefasst, zwei Ergebnisse aus der Studie „Soziale Unterschiede im Mortalitätsrisiko“ von Martin Brussig und Susanne Eva Schulz vom Institut für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg Essen (IAQ). Die beiden haben im Auftrag des DGB untersucht, wie das frühere Arbeitsleben die Lebenserwartung beeinflusst.
Für das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) werden seit 1984 regelmäßig rund 30.000 Personen im Bundesgebiet befragt. Aus dem SOEP haben Schulz und Brussig Datensätze von Menschen genommen, die zwischen 1984 und 2016 ein Alter von 65 erreicht haben und Informationen darüber, ob und wenn ja, wann diese Menschen verstorben sind. Die „fernere Lebenserwartung“ ist hier die Lebenserwartung nach dem 65. Lebensjahr.
Die Ergebnisse der Untersuchung in kurz und knapp:
Bisherige Untersuchungen legten nah, dass das Arbeitsleben eine Rolle für die fernere Lebenserwartung spielt – auch dann, wenn es bereits beendet ist, schreiben Brussig und Schulz. Um dem auf den Grund zu gehen, haben die ForscherInnen drei Faktoren (Arbeitsbelastung, Beschäftigungsdauer und die Möglichkeit bis in die Nähe der Regelaltersgrenze zu arbeiten) untersucht.
Die Zahlen sind deutlich. Männer mit einer sehr hohen beruflichen Belastung haben eine deutlich niedrigere Lebenserwartung ab 65. Jahren als Männer mit einer sehr niedrigen Arbeitsbelastung. Bei Frauen sind die gleichen Wirkungen der Arbeitsbelastungen zu sehen. Differenzierter ist Bild bei der Gruppe mit „mittlerer“ Belastung. Insgesamt sinkt die fernere Lebenserwartung aber mit steigender Arbeitsbelastung.
Beim zweiten Faktor, der Beschäftigungsdauer, lautete die Annahme, dass Menschen, die viele Jahre gearbeitet haben, länger leben, weil gute Grundgesundheit eine wesentliche Voraussetzung für langes Arbeiten sei. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wer mehr als 20 Jahre Erwerbsarbeit hinter sich hat, stirbt früher als Menschen, die zwischen null und 20 Jahren gearbeitet haben, so Brussig und Schulz.
Auch hier zeigt sich wieder ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen in der ferneren Lebenserwartung. Frauen leben danach deutlich länger. Das könnte aber an einem Problem in der Erfassung der Daten selbst liegen: Männer sind in den Gruppen derer, die längere Jahre arbeiten, vermehrt statistisch vertreten, weil Frauen im Gesamtüberblick öfter unterbrochene Erwerbsbiografien und weniger Berufsjahre auf dem Buckel haben – beispielsweise durch Kindererziehung oder durch Pflege von Angehörigen. Erfasst werden aber nur die Jahre, in denen eine Person tatsächlich erwerbstätig war. Deshalb kommen Frauen eher in den Gruppen vor, die weniger Arbeitsjahre auf dem Buckel haben.
Für Annelie Buntenbach zeigen die Ergebnisse vor allem eines: „Höhere Altersgrenzen beim Renteneintritt sind nicht allen zumutbar, weil die Lebenserwartung ungleich steigt.“
Bereits frühere Studien hätten gezeigt, dass soziale Faktoren die Lebenserwartung beeinflussen. Aber mit der neuen Untersuchung zeige sich nun, dass die allgemeine Lebenserwartung zwar ansteige, aber eben nicht für alle gleichermaßen. Von Arbeitgebern und von einigen Wissenschaftlern werde „mit der durchschnittlich steigenden Lebenserwartung die Notwendigkeit begründet, das Rentenalter weiter anzuheben“. So wird der Forscher Axel Börsch-Supan nicht müde zu betonen, dass aus Gründen der Generationengerechtigkeit das Rentenalter immer weiter steigen müsse, weit über 67 Jahre hinaus, bis 69, 70 oder noch weiter.
Für eine Analyse von 2011 untersuchte der Soziologe Lars Eric Kroll die Arbeitsbelastungen in unterschiedlichen Berufsgruppen. Danach zählen Berufe im produzierenden Gewerbe wie im Maschinenbau, in der Holz- und Kunststoffverformung, bei Baustoffherstellern oder eben im Bergbau zu den Berufen mit der höchsten Belastung. Büroberufe, Technische Zeichner, Bankkaufleute oder Kaufmännische Angestellte standen auf der anderen Seite der Skala.
Bauarbeiter steigen im Schnitt mit 58 Jahren aus ihrem Beruf aus, weil sie nicht mehr können. Sie können aber frühestens mit 63 Jahren in eine Altersrente. Was dann folgt, sei oft Hartz IV, denn die Beschäftigten sind „zu jung für die Rente und zu gesund für die Erwerbsminderung“, sagte Annelie Buntenbach.
Diese unterschiedliche Lebenserwartung sei für die Gewerkschaften „ein zentrales Thema“, sagte Buntenbach. Denn: Steigende Altersgrenzen kämen für bestimmte Gruppen einer übermäßigen Rentenkürzungen gleich. Warum? Ganz einfach: Wer lange eingezahlt hat und nach dem Ende des Erwerbslebens weniger Jahre noch lebt, bekommt weniger raus, und das ist ungerecht.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."