Deutscher Gewerkschaftsbund

14.11.2019
Kolumne zur Alterssicherung

Lobbyist Börsch-Supan legt Hand an unsere Rente

von Gerd Bosbach

Im März 2020 will die Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ihre Vorschläge für die Zukunft vorlegen. Kommissionsmitglied Axel Börsch-Supan, bekannt geworden als Gutachter der Versicherungswirtschaft, haut schon einmal Pflöcke ein: Rentenniveau absenken, noch länger arbeiten, Beiträge erhöhen, mehr Staatszuschuss. Bei der Begründung leistet er sich gravierende Logikfehler.

Hände eines älteren Menschen halten Münzen

DGB/Anna Nikonorova/123rf.com

Als im Mai 2018 die zehnköpfige Rentenkommission beim Bundesarbeitsministerium einberufen wurde, war unter den drei nominierten Wissenschaftlern ein alter Bekannter: der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan. Früher hat er ein von der Versicherungswirtschaft getragenes Institut geleitet und mit seinen angeblich neutralen Forschungsarbeiten gegen die gesetzliche Rente geschossen. Leider mit Erfolg. Noch bevor sich die Rentenkommission zusammengesetzt hat, platzierte er sein Rentenprogramm in der Öffentlichkeit und ließ sich dafür von vielen Medien als „Rentenpapst“ und „Deutschlands führender Rentenökonom“ feiern. Seitdem dominiert sein selbstbenannter „intelligenter Mix“ von Maßnahmen die Debatte. Was hat Börsch-Supan zu bieten?

Nicht viel Neues. Wir finden dort die altbekannten Forderungen von Arbeitgebern und Versicherungswirtschaft: Sinken soll das Rentenniveau, steigen sollen die Beitragssätze – ohne Rückkehr zur Parität  der Arbeitgeber bei den gesamten Rentenkosten - und der Staatszuschuss steigt ebenfalls. „Zum Ausgleich“ dürfen alle länger arbeiten: im Jahr 2060 bis knapp zum 70. Geburtstag. Neu an den Vorschlägen ist nur die Verpackung.

In der Begründung dieser ausgewogenen Grausamkeiten leistete sich der Forscher Börsch einige Rechen- und Grafiktricks, die direkt aus dem Giftschrank der Statistik stammen: So unterschlug er einfach die Rente ab 67, um den Rückgang der Zahl der Menschen im Erwerbsalter zu dramatisieren. Mit diesem Statistik-Trick schiebt Börsch für das Jahr 2025 mal eben 1,4 Millionen und für 2035 sogar 2,3 Millionen Menschen in die Gruppe der zu Versorgenden, obwohl sie zu den Versorgern zählen. War das nur dumm oder auch böse? Wissenschaftlich war es auf keinen Fall.
Das Rentenniveau definiert er so um, dass ein Absinken von 47,3 Prozent auf wahrscheinlich 43,6 Prozent des Nettoeinkommens als konstantes Rentenniveau nach außen erklärt wird. Die tatsächlichen Renten sänken real noch mehr, weil viele Betroffene die verschobene Altersgrenze gesundheitlich nicht erreichen und deshalb Abschläge hinnehmen müssen.

Die Reaktion der Medien und der Sozialpolitiker lässt im Moment befürchten, dass die Präventiv-Enzyklika des „Rentenpapstes“ alle Debatten über andere gangbare Wege zum Verstummen bringt: etwa die Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten, Politikerinnen und Politikern sowie Selbstständigen in die gesetzliche Rente, die Anhebung der willkürlich gezogenen Beitragsbemessungsgrenze oder die paritätische Beteiligung der Arbeitgeber an allen Rentenbeiträgen.

Wird diesem Zahlentrickser die Zukunft unserer Renten anvertraut? Das werden wir im März 2020 erfahren. Setzen sich soziale Grundrechte und sozialpolitische Vernunft durch oder die Profitgier einiger einflussreicher Unternehmen?

Neugierig geworden oder Lust auf die hoffentlich kommende Diskussion? Hier gibt es Hintergrundmaterial:

Die zukünftige Rentenpolitik wird nicht durch einen wissenschaftlichen Streit entschieden, sondern durch unser gesellschaftliches Handeln. Das hat die Teilprivatisierung der Rente Anfang der 2000er Jahre deutlich gezeigt. Fast alles was heute über Riester-Rente und die Interessen dahinter bekannt ist, war es auch schon damals. Die Arbeitgeber- und Versicherungslobby hat sich trotzdem durchgesetzt – mit freundlicher Unterstützung der meisten Medien und der letzten Regierungen.
Machen wir es diesmal anders. Es steht immerhin die Zukunft unserer Rente und die der nächsten Generation auf dem Spiel.

Gerd Bosbach

Foto: Privat

Gerd Bosbach beschäftigt sich seit 2003 intensiv mit Demografie und Rente. Bereits seit dem Jahr 2004 kritisiert er öffentlich die scheinbar statistisch fundierten Katastrophenszenarien zum demographischen Wandel und der These einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Im Jahr 2011 erschien sein Buch „Lügen mit Zahlen“, in dem er seine aufklärerische Arbeit auf weitere, überwiegend soziale Bereiche ausgedehnt hat. Seit 1. September 2019 genießt er sein Leben als Pensionär und kann sich noch mehr auf seine Artikel und Vorträge konzentrieren. Gewerkschaftsmitglied ist Gerd Bosbach seit über vier Jahrzehnten, heute in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di).

Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.

Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.


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