Wer lange Jahre gearbeitet und dafür Rentenbeiträge gezahlt hat, muss im Alter mehr haben als eine bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung. Dennoch müssen viele Versicherte, wenn sie in Rente gehen, ihren erarbeiteten Lebensstandard erheblich einschränken. Die Grundrente sorgt dafür, dass sich auch niedrige Rentenbeiträge im Alter bezahlt machen. Eine Kolumne von Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender des AWO-Bundesverbandes.
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Im Grunde besteht weitgehend Einigkeit: Wer lange Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat und hierfür Rentenbeiträge gezahlt hat, muss im Alter mehr haben als eine bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung. Unsere Alterssicherung wird diesem Ziel allerdings aktuell nicht mehr durchgehend gerecht. Zwar hat die Rentenversicherung in den letzten Jahren Leistungsverbesserungen erlebt, die nicht kleingeredet werden dürfen. Das grundlegende Problem ist gleichwohl ungelöst geblieben.
Denn vor allem die verbreitete Niedriglohnbeschäftigung und prekäre Selbstständigkeit, die fehlende Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf sowie die Massenarbeitslosigkeit haben in den 1990er und 2000er Jahren erhebliche Lücken in die Erwerbsbiografien vieler Versicherter gerissen. Sie müssen deshalb mit Versorgungslücken im Alter rechnen. Zugleich ist mittlerweile allen klar, dass die zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge diese Versorgungslücken nicht einmal annähernd und flächendeckend schließen kann. Die massiven Rentenkürzungen im vergangenen Jahrzehnt und die langfristige Absenkung des Rentenniveaus verschärfen das Problem. Die betroffenen Versicherten müssen, wenn sie in Rente gehen, ihren erarbeiteten Lebensstandard dauerhaft und teilweise erheblich einschränken, wenn sie nicht sogar auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind.
Hier soll die Grundrente von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Abhilfe schaffen. Im Gegensatz zu früheren Modellen hat dieses Grundrentenkonzept eine entscheidende Verbesserung: Es erkennt, dass Bedürftigkeitselemente nicht in die gesetzliche Rentenversicherung gehören. Die Rentenversicherungsträger können weder das Vorliegen von Bedürftigkeit noch von Bedarfsgemeinschaften prüfen. Rente ist Rente und Grundsicherung ist Grundsicherung. Beide Leistungen folgen unterschiedlichen Logiken und dürfen nicht vermischt werden.
AWO Bundesverband
Der studierte Soziologe und Vater dreier Kinder ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender des AWO-Bundesverbandes. Die Themenschwerpunkte von Wolfgang Stadler liegen auf den Bereichen Kinder-, Familien und Jugendpolitik, Arbeit und Soziales sowie Verbandspolitik und -entwicklung. Er ist maßgeblich verantwortlich dafür, dass im gesamten Verband seit 2017 verbindliche Richtlinien für eine verantwortungsvolle Verbands- und Unternehmensführung und -kontrolle eingeführt werden.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es mich, dass ausgerechnet diejenigen, die die Grundrente als Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung geißeln, die Grundrente von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig machen wollen. Richtig ist zwar, dass die gesetzliche Rente als Versicherung im Grundsatz dem Äquivalenzprinzip folgt: Wer mehr eingezahlt hat, soll mehr heraus bekommen als derjenige, der weniger eingezahlt hat. Richtig ist aber auch, dass die gesetzliche Rentenversicherung keine reine Privatversicherung, sondern eine Sozialversicherung ist. Anders als eine Privatversicherung muss die gesetzliche Rentenversicherung Versicherungsprinzip und sozialen Ausgleich stets in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Ein solches ausgewogenes Verhältnis liegt allerdings dann nicht mehr vor, wenn ein relevanter Teil der Versicherten trotz langjähriger Versicherung in zunehmendem Maße auf bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung angewiesen ist. Da hilft es den Betroffenen denkbar wenig, wenn sie die bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung künftig aus der Rentenversicherung erhalten sollen. Auch das immer wieder vorgeschobene Beispiel der Zahnarztgattin, die in ungerechtfertigter Weise von der Grundrente profitiere, überzeugt nicht. Der soziale Ausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung fragt nicht nach Bedürftigkeit im Haushaltskontext, sondern nach der Zugehörigkeit zum System als Versicherter.
Die Grundrente von Hubertus Heil ist dem Grunde nach nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Rente nach Mindesteinkommen. Diese gibt den langjährig Versicherten mit niedrigem Einkommen für Zeiten vor 1992 die Gewissheit, dass sich auch niedrige Rentenbeiträge im Alter bezahlt machen. Wer eine Verlängerung dieses Instruments von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig machen will, macht sich zum Fürsprecher einer schleichenden Verschmelzung von Rentenversicherung und Grundsicherung. Dies lehnt die AWO mit Entschiedenheit ab. Rente muss Rente und Grundsicherung muss Grundsicherung bleiben!
Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.
Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."