Deutscher Gewerkschaftsbund

19.11.2019
Kolumne zur Alterssicherung

Rente – zu verschenken?

von Markus Liske

Es ist eindeutig nicht menschenwürdig, wenn alte Menschen in Mülleimern nach Leergut wühlen und regelmäßig ihre Kontoauszüge offenlegen müssen, um ihre Mini-Rente aufs Existenzminimum aufgestockt zu kriegen. Und das gilt für alle, ganz gleich ob sie 40 oder 35 Jahre gearbeitet haben, ihr halbes Leben lang arbeitslos oder prekär selbstständig waren. Eine ausreichende Rente für alle ist also keine finanzielle, sondern eine ethische Frage, schreibt Publizist Markus Liske.

Ältere Dame schaut skeptisch

DGB/bowie15/123RF.com

Mit der Rente ist es wie mit dem Klimaschutz: Jeder will sie, keiner will dafür bezahlen. Zumindest wollen uns das wirtschaftsliberale Politiker gern weismachen. So schimpfte etwa CDU-Hoffnungsträger Philipp Amthor kürzlich die geplante Grundrente ein teures „Geschenk des Staates“. Mit dem höchst fragwürdigen Staatsverständnis, das sich darin offenbarte, steht Amthor leider nicht allein. Für viele Politiker scheint „der Staat“ so etwas wie eine der unseren übergeordnete Parallelgesellschaft zu sein, die uns netterweise von ihrem Geld am Leben erhält.

Die Realität ist eine andere: Der Staat, das sind wir alle, und die Parallelgesellschaft, der sich Herr Amthor und die Seinen offenbar zugehörig fühlen, lebt von uns – nicht umgekehrt. Wir bezahlen sie sogar recht gut, damit sie die von uns erwirtschafteten Finanzen in unserem Sinne verwalten. Was aber ist in unserem Sinne? Wenn ich mich bei Freundinnen und Freunden sowie Nachbarinnen und Nachbaren umhöre, ist so ziemlich jeder der Meinung, dass Menschen am Ende ihres Arbeitslebens, wenn Kopf und Glieder nicht mehr richtig können, ein gutes Restleben haben sollten. Was genau die Leute vorher gemacht haben, wie lange und bei welchem Verdienst, spielt dabei keine Rolle. Wer im Alter besser als gut leben möchte, darf sich gerne selbst darum kümmern. Aber schlechter als gut, so meine nicht-repräsentative Umfrage, sollte es wirklich niemandem gehen.

Zweifel an dieser solidarischen Perspektive kommen den Leuten gewöhnlich erst, wenn man ihnen ans Esoterische grenzende Berechnungsmodelle vorsetzt, nach denen die Bewahrung der „schwarzen Null“ selbst in Zeiten von Minus-Zinsen unbedingten Vorrang vor den Interessen der Menschen genießt. Ähnlich bizarre Rechenwerke also wie die, nach denen wir Flugbenzin oder Hotelgewerbe unbedingt steuerlich begünstigen, dafür aber unsere Sehhilfen und unseren Zahnersatz selbst finanzieren müssen.

Wie einst die Kreuzritter mit dem Ruf „Gott will es!“ zur Abschlachtung der Heiden zogen, so donnert es heute: „Der Markt will es!“. Was genau „der Markt“ jedoch will – da streiten die Auguren. Denn wie jede andere von Menschen ersonnene Gottheit zeigt er sich wenig berechenbar. Anders der Mensch: Mag der eine oder andere auch von Luxusyachten oder Mondreisen träumen, letztlich wollen alle vor allem ein menschenwürdiges Leben von der Krippe bis zur Bahre. Was das sein könnte, lässt sich am besten im Ausschlussverfahren herausfinden: Eindeutig nicht menschenwürdig ist es, wenn alte Menschen in Mülleimern nach Leergut wühlen und regelmäßig ihre Kontoauszüge offenlegen müssen, um ihre Mini-Rente aufs Existenzminimum aufgestockt zu kriegen. Und das gilt für alle, ganz gleich ob sie 40 oder 35 Jahre gearbeitet haben, ihr halbes Leben lang arbeitslos oder prekär selbstständig waren. Kurz: Eine ausreichende Rente für alle ist keine finanzielle, sondern eine ethische Frage.

„Der Staat“, als mit längst überholtem Nationalgedöns dürftig getarnte wesenlose Konstruktion, die sich mit anderen ebensolchen auf einem globalen Kapitalkriegsschauplatz („dem Markt“) misst, kennt leider keine Ethik. Was ihn stattdessen antreibt, dazu hat ein Herr namens Karl Marx vor vielen Jahren ein paar dicke Bücher geschrieben. Die zu lesen, gilt heute allerdings als eher uncool, seit eine sich damals nur verschämt kapitalistisch nennende Staatskonstruktion über eine sich lautstark sozialistisch nennende obsiegt hat. Schade – also: dass kaum jemand diese Bücher liest. Sie erklären nämlich ganz gut, warum „der Staat“ seit diesem historischen Sieg nicht etwa mehr, sondern immer weniger „zu verschenken“ hat.

Andererseits: Jetzt soll ja die Grundrente kommen. Leider nur für diesen, nicht für jenen und nach aktuellen Rechenbeispielen in Einzelfällen nicht unbedingt in Höhe der sogenannten Grundsicherung. Damit hat unterm Strich „der Staat“ des Philipp Amthor mal wieder viel zu rechnen und zu prüfen, während der Staat, dem unsereiner angehört, bedröppelt in die Welt schaut und sich fragt, wo am Wegesrand eigentlich die Menschlichkeit verloren ging.

Markus Liske

Foto: Promo

Der Autor

Markus Liske wurde 1967 in Bremen geboren und lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

Er war Mitherausgeber der Nachwende-Anthologie „Kaltland“ (Rotbuch) und der Streitschrift „Vorsicht Volk!“ (Verbrecher Verlag) und veröffentlichte mehrere Bände zu Leben und Werk des anarchistischen Dichters Erich Mühsam. 2016 thematisierte er in seinem Roman „Glücksschweine“ (Verbrecher Verlag) die Neunzigerjahre als historische Leerstelle.

Gemeinsam mit seiner Frau und Autorenpartnerin Manja Präkels betreibt er die Gedankenmanufaktur WORT & TON.

Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.

Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.


Nach oben

Video


DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach bewertet die Ergebnisse der Rentenkommission

Rentenkommission

Flyer "Rente mit Zukunft"

Kurs­wech­sel bei der Ren­te: Was jetzt pas­sie­ren muss
Weißer Text "Rente mit Zukunft" auf rotem Grund
DGB
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine acht Mitgliedsgewerkschaften wollen den Sinkflug der gesetzlichen Rente stoppen. Mit unserer Kampagne "Rente muss reichen" haben wir erreicht, dass die Politik sich bewegt. Wir haben erreicht, dass die Frage einer guten Alterssicherung wieder politisch diskutiert wird. Die neue Bundesregierung ist die ersten Schritte gegangen. In unserer Broschüre "Rente mit Zukunft" zeigen wir, wie es jetzt weitergehen muss.
weiterlesen …

DGB-Stellungnahme zum Entwurf des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetzes (Rentenpaket I)

Dokument ist vom Typ application/pdf.

DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."

Mehr zum Thema Rente

Kurs­wech­sel ein­ge­lei­tet: Ren­ten­ni­veau wird dau­er­haft sta­bi­li­sier­t!
Frau hält Tafel mit Schriftzug "Rente"
DGB/Bjoern Wylezich/123rf.com
Mit einer großen Kampagne forderte der DGB ein stabiles und höheres Rentenniveau. Die Ampelkoalition wird nun das Rentenniveau von 48 Prozent dauerhaft sichern. Das ist und bleibt ein großer Erfolg des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Ein Generationenkapital, zumal aus Schulden finanziert, bleibt wenig zielführend und scheint der unabwendbare Preis für ein dauerhaft stabiles Rentenniveau zu sein.
weiterlesen …

5 Grün­de ge­gen ein spä­tes Ren­ten­ein­tritts­al­ter
Älterer Mann und ältere Frau im Gespräch während Arbeit vor Bildschirm
Colourbox
Ende des Jahrzehnts wird das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre steigen. Wirtschaftsvertreter*innen und etliche Wissenschaftler*innen wollen das Alter danach weiter auf 70 Jahre anheben. Doch ist das nötig? Hilft das gegen steigende Rentenkosten und Fachkräftemangel? Und ist das gerecht und sozial ausgewogen? Wir sagen nein und lehnen eine weitere Anhebung strikt ab.
weiterlesen …

Was ist die Grund­ren­te und wer be­kommt sie?
Ein älteres Paar mit Fahrrädern im Park
DGB/Wavebreak Media Ltd/123rf.com
Wie viel Grundrente gibt es? Wer bekommt die Grundrente? Der DGB erklärt, wer Anspruch auf die Grundrente hat, wie sie berechnet und ab wann sie ausgezahlt wird und bietet Antworten auf die wichtigsten Fragen.
weiterlesen …

Ren­te mit 63 oder von der Ar­beit in die Gru­be?
Miniatur-Figuren laufen an einem Zahlenstrahl Richtung "100"
DGB/Hyejin Kang/123rf.com
Die „Rentensau“ des längeren Arbeitens wird tagtäglich durchs Dorf getrieben. Wahlweise wird gefordert, das Rentenalter noch über 67 hinaus anzuheben oder die Rente mit 63, die es längst frühestens mit 64 gibt, soll weg. Noch nie war die Debatte richtig. Aber eine internationale Studie zeigt: Längeres Arbeiten führt zu früherem Tod. Trotzdem fordert Jens Spahn die Rente mit 63 abzuschaffen.
weiterlesen …

Bei­trags­freie In­fla­ti­ons­prä­mie und Ren­ten­er­hö­hung: ein Ver­wirr­spiel in drei Ak­ten
Miniatur Rentnerpaar steht auf Goldmünzen
colourbox.de
Die beitragsfreie Inflationsprämie geht in 2024 in die Rentenerhöhung ein und führt in den Jahren 2025 und 2026 zu jeweils gegenläufigen Pendeleffekten. Langfristig folgen die Renten den Löhnen, kurzfristig führt die Einmalzahlung in 2023 zu einer auf 12 Monate verteilten einmaligen zusätzlichen Rentenerhöhung.
weiterlesen …

So­zi­al­wahl: So wird ge­wählt
Teaser Sozialwahlen 2023 Frau mit Brieftaube nur Bild
DGB
Wie genau funktioniert die Sozialwahl 2023 und wer darf eigentlich abstimmen? Wir erklären es euch!
weiterlesen …
Erste Seite  Vorherige Seite 
Seite: 1 2 3
Letzte Seite