Eine Studie des statistischen Bundesamtes zeigt: Fast jeder fünfte Rentner in Deutschland ist von Armut bedroht. Das ist beschämend, sagt der ver.di Vorsitzende Frank Bsirske und fordert endlich eine solidarische Grundrente.
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Eine junge ver.di-Kollegin sagte mir kürzlich am Rande einer Fachkonferenz, sie sei nicht nur empört, sie schäme sich. Sie schäme sich dafür, dass in unserem reichen Land derart viele ältere und alte Menschen so schäbig behandelt würden. Ihre Eltern, erzählte sie weiter, müssten nach einem langen Arbeitsleben nun mit Niedrigrenten auskommen, die Mutter habe einen Minijob in einem Privathaushalt gefunden, mit bald 72 Jahren. Von ihren Kindern mögen sich die Eltern auch nicht helfen lassen, vielmehr gehe es sie hart an, dass sie den Enkeln nicht öfter einmal etwas zustecken können.
Ja, das ist beschämend. Dass in diesem Land Millionen Menschen die Altersarmut droht, dass ein Ruhestand in Würde für viele Menschen nicht zu erreichen ist. Auch nicht nach einem jahrzehntelangen Arbeitsleben. Fast 20 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner, also jede und jeder Fünfte von ihnen, ist von Armut bedroht. Diese dramatische Zahl kam erst kürzlich zutage, als das Statistische Bundesamt erstmals getrennt voneinander berechnet hat, wie stark Rentnerinnen und Rentner und wie stark Pensionärinnen und Pensionäre von Altersarmut bedroht sind. Weil Rentner und Pensionäre bei der Berechnung zuvor stets in einen Topf geworfen worden waren, hatten sich die Zahlen bislang noch freundlicher angehört.
Fast gleichzeitig wurde auch diese Zahl bekannt: 3,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte in Deutschland bekommen ein Gehalt von weniger als 2.000 Euro brutto im Monat. Dabei führen die erfolgten Einschnitte in die gesetzliche Rentenversicherung ohnehin schon dazu, dass ein Durchschnittsverdiener mit 2.500 Euro brutto im Monat rund 40 Beitragsjahre benötigt, um auch nur eine Altersrente knapp über dem Grundsicherungsniveau zu erreichen. Das ist die Dimension der Katastrophe, die da heraufzieht. Viele junge und ältere Menschen in diesem Land wissen das – und haben Angst. In mehreren Umfragen zu Jahresbeginn haben knapp 55 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land angeben, sie hätten die Sorge, dass im Alter ihre Rente nicht reichen wird. Und in einer in diesem März veröffentlichten Studie der OECD, der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“, geben sogar 76 Prozent der Befragten an, ihre größte Sorge sei die Rente, das Auskommen im Alter. Ja, das ist beschämend.
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Frank Bsirske ist seit Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Jahr 2001 deren Bundesvorsitzender. Bsirske arbeitete ab 1989 in der Gewerkschaft ÖTV und im öffentlichen Dienst in Hannover. Bevor er zum ÖTV-Vorsitzenden – und damit als erster Grüner zum Chef einer DGB-Gewerkschaft – gewählt wurde, leitete er das Personaldezernat der Stadt Hannover mit rund 16.000 Beschäftigten. Frank Bsirske stellt sich beim ver.di-Bundeskongress im September nicht wieder zur Wahl und wechselt in den Ruhestand.
Und damit das anders wird, brauchen wir einen Kurswechsel in der Rentenpolitik, brauchen wir die Stärkung der gesetzlichen Rente. Eine solidarische Grundrente, wie sie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, einführen will, kann zwar nur ein Anfang sein. Aber eben ein Anfang, ein Vorhaben, das Millionen Menschen im Land sofort helfen würde. Alle jene, so der Vorschlag, die mehr als 35 Jahre Beiträge gezahlt haben, Zeiten von Kindererziehung und Pflege zählen dazu, sollen eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen. Ohne Bedürftigkeitsprüfung, sondern als Rentenanspruch, als Anerkennung und Wertschätzung der Lebensleistung. Es ist ein Anfang, aber schon der löst in Arbeitgeberverbänden und ihren Lobbyorganisationen helle Empörung aus. Gerade so, als stünde mit der Grundrente der Ausverkauf der Republik bevor. Seit Wochen trommelt etwa die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) gegen die solidarische Grundrente, auch Respekt-Rente genannt. „Wer ein Leben lang gearbeitet hat“, schreibt die INSM, „der verdient natürlich Respekt: Ihm steht die Rente zu, die er sich im Lauf seines Arbeitslebens verdient hat – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Und in ungebrochenem Zynismus geht es da weiter: „Wem die Rente nicht zum Leben reicht, bekommt auf Kosten der Steuerzahler – nämlich in der Grundsicherung – die Hilfe der Solidargemeinschaft.“ Soll heißen: Das hat zu reichen, basta, langes Arbeitsleben hin oder her. Schämen sollten sie sich.
Da muss sich einiges tun in unserem Land, in der Rentenpolitik – und auf dem Arbeitsmarkt. Denn dieser Dreiklang stimmt: Gute Arbeit, gute Löhne, gute Renten! Für mehr Würde – im Arbeitsleben und im Ruhestand.
Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.
Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."