Anders als Akademiker können sich Beschäftigte am Bau, in der Gebäudereinigung und Landwirtschaft nach dem Renteneintritt nicht so einfach etwas dazu verdienen. Für sie ist es schon schwer genug, beschwerde- und abschlagsfrei ins Rentenalter zukommen. Der IG BAU Vorsitzende Robert Feiger fordert deshalb endlich würdige Lebensperspektiven für Beschäftigte, die sich kaputt gearbeitet haben.
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Es gibt sicher nicht viele Situationen, bei denen ich unruhig werde. Aber wenn ich einen Professor darüber reden höre, dass immer mehr Ältere vor allem arbeiten, weil sie es vermeintlich gern tun und nicht, weil sie das Geld in Wahrheit bitter nötig haben, kann ich schon aus dem Jackett springen. Von mir aus können dieser Professor und seine Kollegen arbeiten bis sie achtzig sind oder länger. Das ist aber ganz sicher für Beschäftigte am Bau, in der Gebäudereinigung und auch in der Landwirtschaft nicht drin. Diese akademische Sicht auf die Statistiken ist dermaßen abgehoben und von den wirklichen Lebensumständen der hart arbeitenden Menschen entfernt, dass man sich fragt: Ist das noch naiv oder schon bösartig?
Nicht umsonst gibt es viele Handwerker, die bei privaten Berufsunfähigkeitsversicherungen abblitzen. Was bringt es also einem Bauarbeiter, der mit Ende 50 die Treppe nicht mehr raufkommt, wenn rein statistisch immer mehr 60-Jährige an Marathonläufen teilnehmen? Es ist nun einmal Tatsache, dass viele Menschen mit Schmerzmitteln zur Arbeit gehen müssen. Das geht über eine Zeit lang, aber irgendwann geht gar nichts mehr. Dann sind da aber immer noch einige Jahre bis zum regulären Renteneintritt. Das heißt für die Betroffenen ganz oft, rein in den sozialen Abstieg. Arbeitslosengeld gibt es maximal noch für zwei Jahre. Dann geht’s ans Ersparte, dann kommt Hartz IV. Und dann müssen sich die Fachkräfte, die sich ein Leben lang kaputt gearbeitet haben, von Professoren auch noch anhören: „Altersarmut tritt in vielen Fällen nicht auf, nachdem man in Pension geht, sondern man war auch vorher schon einkommensschwach.“ – Ja klar. Wenn man in Hartz IV geschickt wird, ist man laut Statistik dann schon vor Renteneintritt arm.
IG BAU/Alexander Paul Englert
Robert Feiger ist seit September 2013 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).
Das hat System. Eigentlich soll die Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) vor Erkrankungsrisiken schützen. Viele schwer Arbeitende sind von Muskel-Skelett-Erkrankungen betroffen. Aber die Zahl der Neuzugänge in EM-Rente mit Muskel-Skelett-Diagnosen hat sich seit 1995 mehr als halbiert. Der starke Rückgang dürfte überwiegend auf Verschärfungen der Zugangskriterien zurückzuführen sein. Das heißt: Die Menschen sind nicht weniger oft krank. Es wird nur seltener anerkannt. Betroffenen wird immer öfter beschieden, dass sie ja noch ein paar Stunden irgendwas arbeiten können. Ob es solche Jobs überhaupt gibt, spielt keine Rolle. Kaum ein Betrieb ist bereit, schwer Erkrankte einzustellen. Theorie und Praxis passen nicht zusammen.
Wer sich kaputt gearbeitet hat, muss endlich wieder eine würdige Lebensperspektive bekommen. Das ist Aufgabe der Politik. Sie hat die die Hürden der ärztlichen Gutachten dermaßen angehoben, dass Erkrankte kaum Chancen auf eine EM-Rente haben. Das ist unfair und muss geändert werden. Darüber hinaus fordert die IG BAU seit Jahren gleitende Übergänge für Bauarbeiter in die Rente. Für ältere Beschäftigte, die nicht mehr vierzig Stunden schaffen, soll es eine Altersflexi-Regelung geben. Zuerst bestätigt dabei ein Mediziner, dass der Betroffene zu krank ist, um voll zu arbeiten. Dessen Chef muss dann gucken, ob es andere, geeignete Tätigkeiten im Betrieb gibt. Unter Umständen auch in Teilzeit. Fehlende Stunden bis hin zu einem vollständigen Ausfall werden durch das Altersflexi-Geld zum großen Teil ersetzt. Das System entspricht dem Saison-Kurzarbeitergeld, das bereits seit langem Arbeitsausfälle im Winter überbrückt. Es hat sich bewährt.
Ich finde, wer sich zum Thema Arbeiten im Alter öffentlich äußert, sollte sich selbst ein Bild machen. So wie etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Der tauscht jetzt mit unserer Kollegin Susanne Holtkotte aus der Gebäudereinigung den Job. Das ist harte körperliche Arbeit. Auch einem Professor würde da sehr schnell dämmern, dass das nicht bis ins hohe Alter geht.
Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.
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DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."