Nicht nur Menschen, auch Konzerthäuser werden mal alt. Am Beispiel der Elbphilharmonie in Hamburg wird der Weg vom Arbeitsleben bis zum Eintritt in die Rente skizziert. Eine Parabel über die Probleme unseres Rentensystems von Katja Karger.
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Neulich haben wir in Hamburg Geburtstag gefeiert. Die Elbphilharmonie, Elphi, ist zwei geworden, und was sind wir stolz auf sie! Diese Akustik, dieser Glanz! Alle kommen und wollen sich mit ihr fotografieren lassen und hören, wie sie klingt. Um Arbeit und Geld braucht sich Elphi keine Sorgen zu machen. Sie ist ständig ausverkauft und kann sich die teuersten Sänger/-innen und Orchester leisten. Ihr wird eine goldene Zukunft vorhergesagt.
Wenn sie in der Sonne funkelt, schauen zwar immer noch alle gerne hin. Aber ein bisschen gewöhnt haben wir uns an Elphi schon. Erstmals sind in einer Saison nicht alle Konzerte ausverkauft. Inzwischen leistet sie sich eine längere Sommerpause. Trotzdem verdient sie noch genug, um kräftig in die Kulturkasse der Stadt einzuzahlen. Davon soll sie auch später einmal auskömmlich leben können.
Elphi bekommt Kinder. Wegen des großen Erfolgs stehen jetzt zwei kleinere Konzerthäuser in der Stadt, die ihrer Mutter nachempfunden wurden. Natürlich versorgt Elphi sie mit viel Liebe: Sie bekommen die tollsten Sänger/-innen und Bands, während Elphi nun öfter am Abend geschlossen bleibt.
Es fängt an zu klappern und zu knarzen. Bodenbretter lösen sich in Elphis Sälen, einige Geländer sind locker. Wegen der Schäden muss sie einige Wochen geschlossen werden. Konzerte werden abgesagt. Elphi kann nur noch kleinere Beträge zur Kulturkasse beitragen.
Es ist der Beginn des Jahrzehnts der Stille. Krach und Lärm sind völlig out. Auf den Straßen summen leise die Elektromotoren. Ruhe bestimmt das Leben auch in der Großstadt und alle genießen es. Elphi leidet unter dem Trend: Zwar genießen einige noch die leisen Töne im Saal – vor allem bei Regenwetter – aber die besondere Akustik in geschlossenen Räumen ist jetzt nicht mehr nötig: Die Stars treten draußen auf. Für große Künstler/-innen und deren Gagen langt das Geld eh nicht mehr.
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Katja Karger ist seit dem Jahr 2013 Vorsitzende des DGB in Hamburg und die erste Frau an der Spitze des Gewerkschaftsbundes in der Hansestadt.
Der Trend geht zu Mini-Konzerten. Überall in der Stadt entstehen spontan Pop-Up-Bühnen für kleine Auftritte. Große Säle interessieren niemanden mehr. Bei Elphi springt an einigen Stellen die glänzende Ummantelung auf. Sie ist jetzt Aufstockerin: Ohne öffentliche Unterstützung würde sie längst leer stehen.
Immerhin kommen Touristen noch auf die Plaza, um die schöne Aussicht auf den Hafen zu genießen. Es ist ein guter Tag für Elphi, wenn sie ihre Pfandflaschen stehen lassen. Das bringt wenigstens ein bisschen Geld ein.
Elphi gerät immer mehr ins Abseits. Überall werden Schäden sichtbar, die aber nicht repariert werden können. Sie meldet sich arbeitslos. Die Stadt stellt fest, dass sie dringend Geld für neue Bahnhöfe braucht. Wegen der Flugzüge. Die Kulturkasse wird umgewidmet.
Auf Drängen der Agentur für Arbeit lässt sich Elphi zu einem Universitätshörsaal umschulen. Eigentlich nicht ihr Ding – aber was soll sie machen?! Die Professor/-innen freuen sich zunächst: Wegen der Akustik sind sie gut zu verstehen. Aber schon bald meutern die Student/-innen: Die Technik ist ja vollkommen veraltet. Sie muss ihren neuen Job wieder aufgeben.
Jetzt ist Elphi Minijobberin: ihre seltenen Konzerte sind zu sehr günstigen Preisen zu hören. Wenigstens gibt es den gesetzlichen „Mindestticketpreis“. Sonst müsste sie Schleuderpreise aufrufen, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen.
Eine kleine Renaissance erlebt Elphi, als die Grufti-Bewegung eine neue Blüte erlebt und junge Leute Partys in halb verfallenen Gebäuden feiern. Für ein paar Jahre hat Elphi wieder gut zu tun.
Elphi steht leer. Nur ein paar Liebhaber schauen ab und an nach ihr. Einsam ist es um sie geworden. Eine Sanierung wird ihr verweigert: Die Kulturkasse, in die sie eine Zeitlang so gut eingezahlt hat, ist geplündert. Elphi bekommt jetzt Grundsicherung. Sie schaut auf eine gebrochene Erwerbsbiographie zurück. Der Glanz vergangener Tage ist verblasst, die großen Konzerte von einst Geschichte. Dabei spürt sie genau, was noch in ihr steckt. Sie wäre so gerne wieder ein schillernder Teil der Stadt.
Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.
Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."