Jede Forderung nach einer Erhöhung der paritätisch finanzierten Rentenbeiträge wird als Angriff auf unsere Kinder und Enkel verstanden. Doch vor allem die jüngere Generation würde höhere Beiträge in Kauf nehmen, wenn sie im Alter ausreichend abgesichert ist. Der eigentliche Konflikt dreht sich eher um die Frage, wie die zusätzlichen Kosten einer alternden Gesellschaft finanziert werden.
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Wo auch immer in Deutschland über die Rente diskutiert wird, ist die Rede vom Generationenkonflikt nicht weit. Der Generationenkonflikt ist zu einem Mantra geworden, das in keiner Talkshow und in keinem Leitartikel zum Thema Rente fehlen darf. Es wird dann gerne vom „Verrat an der jungen Generation“ und den „Wahlgeschenken an die Alten“ gesprochen, vom „Scheitern des Generationenvertrages“ und der „der zu teuren gesetzlichen Rentenversicherung“.
Der Generationenkonflikt ist eine gefährliche Metapher. Seine Suggestivkraft sollte keinesfalls unterschätzt werden. Wer will schon dafür verantwortlich sein, das Leben junger Menschen zu ruinieren? Um das zu verhindern, ist fast jedes Mittel recht: Selbstverständlich brauchen wir Rentenkürzungen – wir wollen doch nicht die nachfolgenden Generationen belasten. Mehr Eigenverantwortung und private Vorsorge erscheinen als alternativlos. Und jede Forderung nach einer Erhöhung der paritätisch finanzierten Rentenbeiträge wird zu einem Frontalangriff auf zukünftige Generationen – oder, wer es noch etwas pathetischer mag: Ein Angriff auf unsere Kinder und Enkel.
Als Gewerkschafter, der sich seit vielen Jahren an den sozialpolitischen Debatten in unserem Land aktiv beteiligt und dabei die Interessen von abhängig Beschäftigten ebenso im Blick hat wie die von Rentnerinnen und Rentnern, kann ich das ständige Gerede vom Generationskonflikt einfach nicht mehr hören. Nicht nur weil es ganz offensichtlich dazu dient, harte soziale Einschnitte in die Sozialsysteme mit einem abstrakten Hinweis auf angebliche Generationengerechtigkeit zu rechtfertigen, sondern auch weil es eine vollkommen falsche Analyse der Problemlage darstellt. Die Auseinandersetzung um eine Neugestaltung des Rentensystems ist kein Generationenkonflikt, sondern in allererster Linie ein Verteilungskonflikt. Und wie bei jedem Verteilungskonflikt gibt es Gewinner und Verlierer. Die Verlierer der Leistungskürzungen der letzten Jahrzehnte sind einerseits die heutigen Bezieherinnen kleiner Renten, die trotz jahrelanger Beitragszahlungen kaum noch eine Rente erreichen, die zum Leben reicht. Aber es ist natürlich auch die jüngere Generation, die den Leistungsabbau bei der gesetzlichen Rente, mit teurer und riskanter privater Vorsorge bei einem stetig weiter sinkenden Rentenniveau bezahlt. Eine gute Rentenpolitik sieht anders aus!
IG Metall
Hans-Jürgen Urban ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der IG Metall und dort zuständig für Sozialpolitik, Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik. Eine kurze Biografie von Hans-Jürgen Urban finden Sie hier.
Solidarität ist dabei – wie so oft – der Schlüssel zum Erfolg. Das deutsche Rentensystem basiert seit jeher auf einem umfassenden Solidaritätsversprechen zwischen den Generationen. Die Jüngeren finanzieren durch ihre Beiträge die Renten der älteren Generation mit. Wer heutzutage mit jungen Menschen in den Betrieben spricht, bekommt nicht den Eindruck, dass dieser Generationenvertrag als Grundlage der Alterssicherung ausgedient hat. Im Gegenteil: Umfragen belegen, dass knapp 70 Prozent der heute 18- bis 34-Jährigen sogar bereit wären, höhere Rentenbeiträge in Kauf zu nehmen, wenn sie dafür im Alter selbst eine auskömmliche und sichere Rente beziehen können. Die Mehrzahl der Beschäftigten ist also zu Recht der Auffassung, dass ein solidarisch finanziertes Rentensystem noch immer die beste Form der Alterssicherung darstellt.
Warum also dann das ständige Gerede vom Generationenkonflikt? Es lohnt sich, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und danach zu fragen, wer von einer bestimmten Deutung gesellschaftlicher Problemlagen profitiert. In diesem Fall ist die Lage eindeutig und leicht zu durchschauen: Diejenigen die vom Generationenkonflikt reden, verfolgen meist ihre ganz eigenen Interessen. Sie verteufeln einerseits die Anhebung von Beitragssätzen, um Mehrkosten der paritätischen Finanzierung für Arbeitgeber abzuwenden und sprechen sich gleichzeitig für mehr private Vorsorge aus, wovon in erster Linie die private Banken- und Versicherungswirtschaft profitiert.
Wir sollten uns also vom Zerrbild des Generationenkonflikts nicht blenden lassen. Der eigentliche Konflikt in der Rentenpolitik dreht sich um die Frage, wie die zusätzlichen Kosten einer alternden Gesellschaft finanziert werden. Die IG Metall und der DGB haben hierfür umfassende Konzepte vorgelegt, die einen solidarischen Finanzierungsmix und die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer allgemeinen Erwerbstätigenversicherung beinhalten. Für einen solchen Kurswechsel in der Rentenpolitik lohnt es sich zu streiten. Ob Jung oder Alt – am Ende profitieren alle von einer sicheren und solidarisch finanzierten Rente!
Dieser Text ist Teil unserer Kolumne zum Theme Rente. Alle 14 Tage finden Sie hier einen neuen Beitrag - von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Verbänden und Gewerkschaften.
Die Meinungen und Äußerungen der Autorinnen und Autoren dieser Kolumne entsprechen nicht zwangsläufig den Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
DGB-Stellungnahme zum "Rentenpaket I" - Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz): "Der Gesetzentwurf ist in seinen Grundzügen und in wesentlichen Teilen zu begrüßen. In einigen Details und insbesondere bei der Finanzierung muss jedoch nachgebessert werden."